Digital Twin: : Next-Gen-Cybersecurity-Simulation im Industrial Metaverse : Wie virtuelle Angriffssimulationen Industrieunternehmen schützen
In der heutigen Zeit, in der die Digitalisierung in produzierenden Unternehmen rasant voranschreitet, hat die Bedeutung der Cybersicherheit exponentiell zugenommen. Das Thema entwickelt sich von einem reinen Kostenfaktor zu einem wichtigen Wertschöpfungsfaktor in der Produktion.
Doch wie kann die Industrie den wachsenden Herausforderungen der Cybersicherheit in Zukunft begegnen? Das Industrial Metaverse und der digitale Zwilling liefern die Antworten.
Die Vernetzung von Produktionsanlagen, Maschinen und Systemen sowie die Integration von Industrie-4.0-Konzepten führen einerseits zu Effizienzsteigerungen und innovativen Geschäftsmodellen, andererseits aber auch zu neuen Risiken und Angriffsvektoren. Das Fatale daran: Cyberangriffe auf die Produktion haben meist gravierende Auswirkungen, angefangen bei kurzfristigen Produktionsunterbrechungen bis hin zu kompletten Produktionsausfällen über Wochen oder gar Monate. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Thema Cybersecurity immer mehr an Bedeutung und hat wesentlichen Einfluss auf die Unternehmensziele der produzierenden Industrie.
Angriffe auf produzierende Unternehmen und deren Supply Chain gehören mittlerweile zur Tagesordnung. Laut dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ist die Bedrohungs- und Gefährdungslage höher als je zuvor (Stand 2023). Dabei bleibt Ransomware die größte Bedrohung für die Industrie, und die Angriffe verlagern sich zunehmend auf die gesamte Lieferkette.
Viele der Unternehmen sind von ihren Zulieferern abhängig und das macht gerade die Lieferkette zu einem attraktiven Ziel für Cyberkriminelle. Denn ein Angriff auf einen Zulieferer kann sich schnell auf die gesamte Produktion auswirken. Es ist daher entscheidend, dass Unternehmen nicht nur ihre eigene Produktion, sondern auch die ihrer Lieferanten im Blick haben.
Das erfordert neben einer gründlichen Risikobewertung auch die Implementierung von Sicherheitsstandards entlang der gesamten Supply Chain. Maßnahmen wie regelmäßige Sicherheitsaudits, die Einbindung von Cybersecurity-Klauseln in Verträgen und die kontinuierliche Überwachung und Analyse der Lieferkette sind wesentliche Schritte zur Risikominimierung.
Regulatorischer Druck wächst
Neben der erhöhten Bedrohungs- und Gefährdungslage steigt auch der regulatorische Druck auf viele produzierende Unternehmen. Vorschriften wie die EU-Richtlinie NIS2 und der KI-Gesetz (CRA) zielen darauf ab, die Sicherheit und Widerstandsfähigkeit zu stärken. Sie verlangen von Unternehmen, Sicherheitsstandards einzuhalten, regelmäßige Risikobewertungen durchzuführen und Sicherheitsvorfälle zeitnah zu melden. Diese Anforderungen erhöhen nicht nur den Druck auf die Firmen, sondern erfordern außerdem eine kontinuierliche Anpassung an sich ändernde Sicherheitsbedrohungen und -technologien.
Industrial Metaverse
Aber wie kann man den wachsenden Cybersecurity-Herausforderungen in der Industrie in Zukunft noch gerecht werden? Das Industrial Metaverse leitet bereits heute eine neue Ära der digitalen Transformation ein – virtuelle und physische Welten in der industriellen Produktion verschmelzen. Es bietet eine Plattform für die Simulation, Visualisierung und die Interaktion mit digitalen Zwillingen von Maschinen, Anlagen und ganzen Produktionsprozessen. Durch die Nutzung von Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) können Unternehmen ihre Effizienz steigern, die Produktentwicklung beschleunigen und die Mitarbeiterausbildung verbessern.
Mittels Digital Twin wird im Industrial Metaverse ein virtuelles Abbild eines physischen Objekts oder Systems geschaffen. Diese Technologie ermöglicht es, Prozesse zu simulieren, zu analysieren und zu optimieren, ohne physische Eingriffe vornehmen zu müssen. Digital Twins spielen bereits heute, aber vor allem auch zukünftig, eine zentrale Rolle im Industrial Metaverse, indem sie die Grundlage für erweiterte Simulationen und Analysen bieten.
Cyberangriffe auf die Produktionsprozesse simulieren
Diese digitalen Zwillinge werden vornehmlich zum Produktdesign und Produktentwicklung, zur vorbeugenden Wartung oder zur Betriebsüberwachung und -optimierung eingesetzt. Produzierende Unternehmen können jedoch zukünftig vermehrt auf diesen bereits etablierten digitalen Zwilling zur Simulation von potenziellen Cyberangriffen zurückgreifen. Dabei geht es nicht darum, einen solchen Zwilling nur für die Cybersicherheit zu implementieren, sondern vielmehr darum, den bereits bestehenden Zwilling um weitere Use Cases – in diesem Fall um Sicherheitsaspekte – zu ergänzen.
Das digitale Abbild der Produktion ermöglicht es, potenzielle Cyberangriffe in einer sicheren und kontrollierten virtuellen Umgebung zu simulieren. Durch die präzise Nachbildung der realen Produktionsumgebungen im digitalen Zwilling können Unternehmen wirklichkeitsnahe Szenarien durchspielen und so Schwachstellen in ihren Systemen identifizieren, bevor diese in der realen Welt ausgenutzt werden.
Die Simulationsansätze ermöglichen nicht nur eine tiefgehende Analyse der Auswirkungen verschiedener Angriffsarten, sondern tragen auch zur Entwicklung effektiver Gegenmaßnahmen und Reaktionsstrategien bei. Darüber hinaus fördert der Einsatz solcher Simulationen das Verständnis für Cyberbedrohungen auf allen Ebenen des Unternehmens und unterstützt die Ausbildung des Personals im Hinblick auf präventive Sicherheitsmaßnahmen.
Zukünftig kann man so beispielsweise Pentests innerhalb des digitalen Zwillings automatisiert und in Echtzeit durchführen. Potenzielle Auswirkungen auf laufende Produktionsprozesse lassen sich so ausschließen und verhindern. Mögliche Produktionsstörungen oder Ängste, die Produktion durch Tests zu stören, gehören damit der Vergangenheit an. Eventuelle Sicherheitsrisiken können virtuell identifiziert und bewertet werden. Das erlaubt es, Schwachstellen und Angriffsszenarien realitätsnah zu simulieren und Gegenmaßnahmen zu entwickeln, ohne die Produktion zu beeinträchtigen.
Welche Herausforderungen gilt es zu meistern
Die Herausforderung, die virtuelle Welt des digitalen Zwillings mit der physischen Produktion zu verknüpfen, liegt vor allem in der Integration von unterschiedlichsten Technologien und deren Daten. Die benötigten Daten existieren zumeist heute schon, auch wenn sich teilweise über die Qualität streiten lässt. Informationen über eingesetzte Software, deren Versionen und Patchlevel sowie über existierende Schwachstellen und deren Auswirkungen auf verbundene Geräte müssen präzise erfasst und in Echtzeit aktualisiert werden. Das erfordert fortschrittliche Technologien zur Datenanalyse und -verarbeitung. Die Komplexität steigt insbesondere dann, wenn Systeme und Technologien verschiedener Hersteller und Generationen miteinander verbunden werden müssen.
Einsatz von künstlicher Intelligenz
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) bietet uns schon heute zukunftsweisende Möglichkeiten. Analysen zur Erkennung von Mustern und Anomalien, die auf potenzielle Sicherheitsrisiken hinweisen, sind bereits Standard. Durch den geschickten Einsatz von KI können Produktionssysteme fortlaufend verbessert und die Wahrscheinlichkeit sowie das Ausmaß möglicher Cyberangriffe genauer vorhergesagt werden.
Das ermöglicht es Unternehmen, proaktive Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, indem sie potenzielle Bedrohungen identifizieren, bevor sie zu echten Problemen werden. In einer Zukunft, in der Cyberangriffe immer ausgefeilter werden und zur Tagesordnung gehören, stellt der Einsatz von digitalen Zwillingen in Verbindung mit KI für die Angriffssimulation somit einen wesentlichen Baustein für die Aufrechterhaltung der Cyberresilienz in produzierenden Unternehmen dar.
Wertschöpfungsfaktor Cybersecurity
Zukünftig werden produzierende Unternehmen, die bedarfsgerecht in Cybersecurity-Maßnahmen investieren, signifikante Marktvorteile realisieren können. Diese Investitionen in die eigene Widerstandsfähigkeit erhöht die Produktionszuverlässigkeit und gewährleisten eine kontinuierliche und effiziente Produktion. Unternehmen können agiler auf sich ändernde Märkte reagieren und Innovationen vorantreiben.
In der heutigen digital vernetzten Wirtschaft ist die Investition in Schutzmaßnahmen somit nicht nur eine Frage der Risikominimierung, sondern auch ein entscheidender Faktor für nachhaltiges Wachstum und den unternehmerischen Erfolg jedes Unternehmens.
Thomas Gronenwald ist Head of Industrial Cyber Security bei KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft