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Blackout-Resilienz in der Praxis: Rechenzentren rüsten sich für großflächige Stromausfälle

Die Abhängigkeit von digitaler Infrastruktur nimmt zu, doch Deutschlands Stromnetze sind überlastet, und Stromausfälle werden wahrscheinlicher. Rechenzentren müssen daher heute deutlich mehr leisten als nur die sichere Speicherung von Daten. „Blackout-Resilienz 2025” bedeutet deshalb, Energiequellen zu diversifizieren, intelligente Speicher einzubinden und Prozesse so zu optimieren, dass selbst bei einem großflächigen Netzausfall kritische Systeme unterbrechungsfrei weiterlaufen.

5 Min. Lesezeit
Stromausfall, beleuchtetes GEbäude, Mond
Foto: ©AdobeStock/fotografiedk

Kritische IT-Infrastruktur vor großflächigen Stromausfällen zu schützen, ist eine zentrale Voraussetzung für jeden professionellen Rechenzentrumsbetrieb. Angesichts der stetig zunehmenden Abhängigkeit von digitalen Dienstleistungen, verschärfter regulatorischer Anforderungen und der Häufung extremer Wetterereignisse sind heute ganzheitliche Konzepte erforderlich, die deutlich über den klassischen „Dieselgeneratorsatz“ hinausgehen.

Moderne Resilienzsysteme integrieren dezentrale Energiequellen, intelligente Puffertechnologien, digitales Asset-Management und organisatorische Verfahren in einem orchestrierten Ablauf, dessen Ziel es ist, einen unterbrechungsfreien Betrieb selbst in Szenarien mehrtägiger Netzausfälle zu gewährleisten.

Mehrschichtige Energieversorgung

Das Herzstück moderner Blackout-Resilienz bildet die Mehrfachversorgung über verschiedene Energiequellen. Die klassische Netzeinspeisung über zwei voneinander unabhängige Hochspannungsanschlüsse ist ebenso unverzichtbar wie die zunehmende Integration erneuerbarer Erzeugungsanlagen direkt am Standort. Solaranlagen auf Dachflächen, vertikale Windkraftsysteme auf dem Gelände sowie Biogas-Kleinkraftwerke liefern vor Ort erzeugte Energie, reduzieren Spitzenlasten im öffentlichen Netz und stellen Basisstrom bereit.

Damit diese Energie jederzeit nutzbar bleibt, setzen Betreiber auf modulare Speicher – von Lithium-Ionen-Blöcken über Redox-Flow-Systeme bis zu Schwungradspeichern. So entsteht ein verbundener Energiemix, der nahtlos zwischen Netz, Speicher und Eigenproduktion umschaltet.

Während Schwungräder dank ihres hohen Trägheitsmoments sofortige Kurzschlussleistung für Millisekunden bereitstellen, decken Batterien mittelfristige Versorgungslücken ab und ermöglichen so einen unterbrechungsfreien Übergang zu Diesel- oder Brennstoffzellen-Generatoren.

Automatisierte Notstromsysteme mit KI-Unterstützung

Die zweite Absicherungsebene bilden hochautomatisierte Notstromaggregate auf Diesel- und Erdgasbasis. Moderne Notstromaggregate verfügen über automatisierte Startsequenzen, die bei einem Netzausfall innerhalb von fünf Sekunden die Last übernehmen. Eine umfassende Sensorik überwacht dabei Parameter wie Öltemperatur, Abgasdruck, Vibrationen und Kraftstoffqualität.

Diese Daten fließen in KI-gestützte Analytikplattformen, die auf Grundlage historischer Betriebswerte Wartungsintervalle berechnen und Instandhaltungen einleiten, bevor kritische Verschleißgrenzen erreicht sind. So lassen sich Ausfallzeiten reduzieren und die Verfügbarkeit von Aggregateflotten lässt sich auf über 99,9 Prozent steigern.

Parallel dazu gewinnen wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen zunehmend an Bedeutung. Aufgrund ihres emissionsarmen Betriebs und ihres leisen, modularisierbaren Aufbaus sind sie eine sinnvolle Ergänzung für Betreiber, die Nachhaltigkeitsziele verfolgen oder in dicht besiedelten Gebieten tätig sind. In Kombination mit einem intelligenten Microgrid-Management koordinieren sie die Eigenproduktion, Batteriespeicher und den Fremdnetzbezug.

Im Inselbetrieb, einem automatischen Wechselmodus, der bei Netzausfall greift, versorgen Brennstoffzelle und Speicher gemeinsam kritische Lasten für mehrere Stunden oder Tage. Über OPC-UA-Schnittstellen oder REST-APIs können externe Wartungsdienste nahezu alle Parameter aus der Ferne überwachen und den Betrieb optimieren.

Reduzierung von Risiken

Gleichzeitig nimmt die geografische Diversifikation von Rechenzentren zu. Mithilfe von Software-Defined-Networking und virtualisierten Plattformen wird die Workload-Orchestrierung in Echtzeit gesteuert. Im Fall eines großflächigen Stromausfalls in einer Netzregion verlagern Lastmanager virtuelle Maschinen automatisch zu Standorten mit stabiler Energieversorgung.

Rechenzentren in unterschiedlichen Netzausbauregionen – teils sogar in verschiedenen europäischen Ländern – bilden so ein resilientes Netzwerk. Dieses stellt Dienste weltweit ohne Unterbrechung bereit. Die Multisite-Strategie reduziert zudem regulatorische Risiken, da sich unterschiedliche lokale Stromversorgungsmodelle und Stärken nutzen lassen.

Ein weiterer Baustein sind adaptive Kühlkonzepte, die den Energieverbrauch im Notstrombetrieb deutlich senken. Dabei werden klassische Kaltwassersätze mit variabler Drehzahlregelung durch freie Kühlung ergänzt. In kühlen Nächten oder Wintermonaten wird dabei die Außenluft zur Wärmeabfuhr genutzt. Verteilte Flüssigkeitskühlkreisläufe mit Direktverdampfung arbeiten zudem effizienter als luftbasierte Systeme.

Sinkt die verfügbare Netzleistung, drosselt die intelligente Steuerung automatisch weniger kritische Verbraucher, verschiebt Rechenjobs in Phasen mit ausreichender Kühlkapazität und vermeidet so thermische Instabilitäten.

Simulation von Blackout-Szenarien

Neben der technischen Absicherung ist auch eine gründliche organisatorische Vorbereitung entscheidend. Dazu gehören die Schulung des Personals und die Durchführung strukturierter Notfallübungen. In speziell eingerichteten Command-Centern lassen sich realistische Blackout-Szenarien simulieren – von kurzen Spannungseinbrüchen bis hin zu tagelangen Komplettausfällen. Mithilfe digitaler Zwillinge der gesamten Anlage können Tests verschiedenster Störfälle ohne Risiko für den Live-Betrieb durchgeführt werden.

Die gewonnenen Erkenntnisse fließen direkt in aktualisierte Betriebsanleitungen, Eskalationspfade und Kommunikationsprotokolle ein. Klare Rollenverteilungen und festgelegte Entscheidungsbefugnisse stellen sicher, dass die Abläufe im Ernstfall reibungslos funktionieren.

Darüber hinaus trägt die Einhaltung internationaler Standards wesentlich zur Überprüfbarkeit der Resilienzmaßnahmen bei. Zertifizierungen nach ISO 22301 (Business Continuity Management), ISO 27001 (Informationssicherheit) und IEC 61000-4-34 (Störfestigkeit gegen Spannungsunterbrechungen) liefern externe Validierung.

Regelmäßige Audits umfassen sowohl technische Komponenten als auch dokumentierte Prozesse und Warnstufen. Darin festgehaltene Service-Level-Agreements mit Energieversorgern und Treibstoffzulieferern sichern prioritäre Belieferung in Krisensituationen und sollen garantieren, dass Ersatzteile und Verbrauchsmaterial umgehend zur Verfügung stehen.

Transparenz und Kooperation sind entscheidend

Ebenso ermöglicht die zunehmende Digitalisierung eine noch feinere Abstimmung aller Elemente. Predictive-Maintenance-Plattformen aggregieren Daten aus Sensoren, Logfiles und Netzmonitoren, werten sie mit Machine-Learning-Algorithmen aus und prognostizieren die Restlebensdauer von Komponenten. Intelligente Lastmanager passen den Energiebezug kontinuierlich an Live-Tarife und Netzbelastungen an. Über blockchainbasierte Services lassen sich Verbrauch und Kapazitäten zwischen Partnern transparent und manipulationssicher handhaben, was den Einstieg in virtuelle Kraftwerke erleichtert.

Eine bewährte Praxis stellt zudem die enge Kooperation mit lokalen Netzbetreibern und Behörden dar. Betreiber von Rechenzentren nehmen an regionalen Blackout-Arbeitsgruppen teil und erhalten frühzeitig Informationen zu geplanten Abschaltungen, Netzhinweisen und Wartungsfenstern. Diese Echtzeitdaten speisen das interne Monitoring und erlauben eine automatisierte Anpassung der Umschaltstrategien.

Gemeinsame Notfallpläne mit Feuerwehr, Polizei und technischen Hilfsdiensten beschleunigen die Bereitstellung von Hubschrauber-Landeflächen für Wartungsteams und die Lieferung kritischer Bauteile.

Fazit

Um gegen Stromausfälle resilient zu sein, ist heute ein abgestimmtes Zusammenspiel aus Technik, Organisation und Partnerschaften erforderlich. Dezentrale Erzeugung, vernetzte Energiespeicher, digitale Zwillinge, KI-gestützte Analytik und sorgfältig erprobte Notfallprotokolle bilden gemeinsam ein hochverfügbares Gesamtsystem. Der Fokus hat sich von punktuellen Backup-Lösungen zu umfassenden, dynamisch anpassbaren Infrastrukturen verschoben.

Nur wer alle Komponenten – von der Solarzelle bis zum Wartungsplan – in einen integrierten Ablauf einbindet, kann seinen Kunden auch in einem ernsthaften Blackout-Szenario eine ununterbrochene Versorgung bieten. Diese ganzheitliche Herangehensweise ist entscheidend für die Blackout-Resilienz von Rechenzentren im Jahr 2025 und bildet die Grundlage für zukünftige Innovationen.

Porträt Jerome Evans

Jerome Evans ist Geschäftsführer der firstcolo GmbH. Seit 20 Jahren befasst er sich mit IT-Dienstleistungen, speziell Datacentern, und kümmert sich um den Aufbau und Betrieb von Rechenzentren.

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