Strukturierte KI-Einführung verhindert Wildwuchs: Warum Unternehmen ihre KI-Agenten wie Mitarbeiter verwalten sollten
KI-Agenten greifen auf Daten zu, erledigen Aufgaben selbstständig und treffen eigenmächtig Entscheidungen. Ohne klare Regeln entstehen Schatten-KI und ein unkontrollierter Agenten-Wildwuchs, ein ernst zu nehmendes Risiko für jedes Unternehmen. Cloud- und KI-Governance – in der Vergangenheit oft verpönt und gemieden – können hier Abhilfe schaffen, indem sie die Transparenz erhöhen und dabei helfen, Sicherheitslücken zu reduzieren. Somit bilden sie die Basis für den verantwortungsvollen Einsatz von KI im Unternehmensalltag.

In vielen Unternehmen beginnt die Reise in Richtung künstlicher Intelligenz (KI) nicht mit einer großen, strategisch geplanten Einführung, sondern schleichend. Mitarbeiter nutzen frei verfügbare Tools, um ihre Arbeit zu erleichtern oder Routineaufgaben schneller zu erledigen. Diese sogenannte Schatten-KI bleibt der IT-Abteilung meist verborgen, weil sie außerhalb der offiziellen Freigaben liegt. Die Vorteile für einzelne Anwender scheinen zunächst zu überwiegen, doch gleichzeitig steigt das Risiko, dass sensible Daten unkontrolliert in externe Systeme gelangen.
Schatten-KI ist damit häufig der erste Schritt in eine Dynamik, die Unternehmen später teuer zu stehen kommen kann, denn sobald offiziell freigegebene Plattformen wie Copilot, Copilot Studio oder SharePoint Agents hinzukommen, wächst die Zahl der eingesetzten digitalen Helfer rasant. Was als einzelnes Tool beginnt, entwickelt sich schnell zu einem unüberschaubaren Netz von autonomen Agenten.
Gartner warnt vor „Agent Sprawl“
Mit der Einführung von generativer KI in Microsoft 365, der Power Platform oder vergleichbaren Umgebungen können Mitarbeiter ohne tiefes technisches Wissen eigene Agenten erstellen.
Diese Agenten führen eigenständig Prozesse aus, verarbeiten Daten und interagieren mit Systemen. Sie entstehen mit wenigen Klicks und sind sofort produktiv nutzbar. Genau diese niedrige Eintrittsschwelle führt zu einem Phänomen, das Gartner-Analysten als Agenten-Wildwuchs (Agent Sprawl) bezeichnen.
Plötzlich existieren hunderte, manchmal tausende Agenten, die keiner zentralen Stelle bekannt sind. Manche laufen im Hintergrund weiter, obwohl das Projekt, für das sie entwickelt wurden, längst beendet ist. Andere wurden von Personen erstellt, die das Unternehmen bereits verlassen haben. Wieder andere greifen auf Datenquellen zu, die eigentlich streng kontrolliert sein sollten und stellen die Informationen einem Nutzerkreis zur Verfügung, der nicht immer grundsätzlich darauf Zugriff haben sollte.
Die Gefahr ist offensichtlich: Jeder dieser Agenten ist ein potenzielles Einfallstor. Ein unkontrolliert erstellter Agent kann Daten exfiltrieren, Sicherheitsrichtlinien umgehen oder schlicht fehlerhafte Ergebnisse liefern. Spätestens wenn von Microsoft propagierte „Pay-as-you-go“-Modelle eingesetzt werden und jede Interaktion Kosten verursacht, spüren Unternehmen die Folgen auch finanziell.
Compliance-Verstöße durch unklare Verantwortung
Agenten-Wildwuchs bleibt selten ohne Folgen. Besonders heikel ist der unkontrollierte Zugriff auf vertrauliche Daten. Wenn Agenten in Microsoft Teams, SharePoint oder anderen Systemen aktiv werden, tun sie das mit den Berechtigungen ihrer Ersteller. Beim Veröffentlichen eines Agenten erhalten somit unbedacht andere Personen die gleichen Zugriffsberechtigungen. Schon ein einzelner falsch konfigurierter Agent kann dazu führen, dass vertrauliche Dokumente in einem Chat erscheinen, für den sie nicht bestimmt waren.
Ein weiteres Risiko liegt in der unklaren Verantwortung. Wer prüft, ob ein Agent noch gebraucht wird? Wer trägt die Verantwortung, wenn ein automatisierter Prozess falsche Ergebnisse liefert? Wer entscheidet, ob die entstehenden Kosten im akzeptablen Verhältnis zum Geschäftsnutzen stehen? Ohne eindeutige Zuständigkeit bleiben solche Fragen unbeantwortet und die Sicherheitsverantwortlichen stehen vor einem kaum lösbaren Problem.
Regulatorische Anforderungen wie die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verschärfen die Situation zusätzlich. Agenten, die unkontrolliert personenbezogene Daten verarbeiten, können zu massiven Compliance-Verstößen führen. Gleichzeitig ist es kaum möglich, eine saubere Nachvollziehbarkeit sicherzustellen, wenn es an Inventarisierung und Lifecycle-Management fehlt.
Governance als Enabler
Viele Unternehmen betrachten Governance zunächst als Bremsklotz. Regeln und Kontrollen werden mit Einschränkungen gleichgesetzt. Doch im Kontext von KI und Agenten ist das Gegenteil
der Fall. Governance ist der Schlüssel, um Schatten-KI zu verhindern und Agenten-Wildwuchs in kontrollierte Bahnen zu lenken.
Governance bedeutet hier nicht, Innovation zu blockieren – sie schafft vielmehr die Rahmenbedingungen, innerhalb derer Endanwender sicher experimentieren und produktiv mit KI arbeiten können. Ohne ein Mindestmaß an Regeln läuft jedes Projekt Gefahr, im Chaos zu enden. Mit Governance hingegen wird aus der unübersichtlichen Agentenflut ein handhabbares System, das klare Verantwortlichkeiten und nachvollziehbare Prozesse kennt.
Bausteine für wirksame Kontrolle
Eine hilfreiche Analogie ist die Personalverwaltung. Kein Unternehmen würde neue Mitarbeiter einstellen, ohne ihre Identität zu erfassen, Rollen und Berechtigungen zuzuweisen oder regelmäßige Reviews durchzuführen. Digitale Mitarbeiter in Form von KI-Agenten verdienen dieselbe Sorgfalt.
- Onboarding: Bevor ein Agent produktiv eingesetzt wird, braucht es eine Freigabe. Ähnlich wie ein neuer Mitarbeiter seine Vertragsunterlagen und Zugriffsrechte erhält, muss ein Agent einen definierten Erstellungsprozess durchlaufen. Dabei wird dokumentiert, welchen Zweck er erfüllt und welche Daten er benötigt.
- Rollenwechsel: Ändert sich der Einsatzzweck, benötigt auch der Agent ein Update. Neue Datenquellen oder veränderte Zugriffsrechte sollten nicht unbemerkt erfolgen, sondern wie bei einer Beförderung oder Rollenänderung überprüft und genehmigt werden.
- Offboarding: Sobald ein Projekt endet oder ein Agent nicht mehr benötigt wird, muss er sauber stillgelegt werden. Dazu gehören das Entfernen von Zugriffsrechten, die Archivierung relevanter Ergebnisse und die Dokumentation des Offboardings.
- Leistungsbeurteilung: Auch Agenten sollten regelmäßig überprüft werden.
Statt Zielvereinbarungsgesprächen gibt es hier Risikobewertungen, Nutzungsstatistiken und Kostenanalysen. Ein Agent, der keine Mehrwerte bietet oder Sicherheitsrisiken birgt, sollte angepasst oder entfernt werden.
Diese systematische Sichtweise macht aus unkontrolliertem KI-Wildwuchs ein beherrschbares digitales Team, in dem jeder Agent einen Platz, eine Aufgabe und eine verantwortliche Person hat.
Damit Governance ihren positiven Effekt entfalten kann, braucht es konkrete Maßnahmen:
- Inventar aller Agenten als zentrales Verzeichnis, das jederzeit Auskunft gibt
- Klare Verantwortlichkeiten durch Zuweisung eines Verantwortlichen
- Lebenszyklus-Management mit Regeln für Onboarding, Änderungen und Offboarding
- Risikobewertung und Monitoring durch kontinuierliche Analysen und automatisierte Berichte
- Datenhygiene als Basis für zuverlässige Ergebnisse: Veraltete oder redundante Inhalte müssen regelmäßig entfernt werden. Besonders auch bei generativer KI wie MS Copilot, welcher auf alle dem Mitarbeiter verfügbaren Informationen zugreift.
Von reaktiv zu proaktiv
Unternehmen, die Governance ernst nehmen, verlassen die reaktive Haltung. Statt erst einzugreifen, wenn Sicherheitsvorfälle oder Kostenexplosionen eintreten, können sie von Anfang an steuern. Das bedeutet, dass Innovation nicht gebremst, sondern beschleunigt wird.
Ein proaktiver Ansatz schafft Vertrauen sowohl bei Endanwendern, die sicher mit KI experimentieren können, als auch bei Führungskräften, die den geschäftlichen Nutzen im Blick haben. Wenn klar ist, dass Agenten kontrolliert, überprüft und bei Bedarf abgeschaltet werden, steigt die Akzeptanz im gesamten Unternehmen.
Schatten-KI und Agenten-Wildwuchs sind keine theoretischen Risiken. Sie entstehen unbemerkt und entwickeln sich schnell zu einem echten Problem für Sicherheit und Compliance. Wer die Einführung von KI-Agenten ohne Regeln angeht, läuft Gefahr, die Kontrolle zu verlieren.
Die gute Nachricht ist: Governance bietet einen klaren Ausweg. Sie verhindert nicht den Fortschritt, sondern ermöglicht ihn. Wenn Agenten wie Mitarbeiter behandelt werden, mit Inventar, Verantwortlichen, Lifecycle und Reviews, wird aus einer Bedrohung ein beherrschbares System. Unternehmen können so die Chancen von KI nutzen, ohne Sicherheits- oder Compliance-Risiken in Kauf zu nehmen.

Matthias Einig ist Mitbegründer und CEO von Rencore
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